Sonntag, 14. Januar 2007

Wunderbares Spiel der Sinne

Aachen. Auftakt zum «Schrittmacher»-Festival am Samstagabend im Aachener Ludwig-Forum: Es ist stockfinster in der Mulde. Zwei nackte Stühle schimmern im blassen Schein der weißen Leinwand, die sich bis zu den Füßen des Publikums erstreckt. Totenstille. Und dann beginnt er, der faszinierende Tanz der Geometrie mit der Natur. Auf der Leinwand hasten Füße über das Gras, Hände graben tief und wild schaufelnd durch Ackerboden. Monotone Musik schwillt an, wird lauter...Das Pärchen Florian Eckardt und Anne Poncet-Staab beginnt im Ludwig-Forum mit seinem Tanz geometrischer Abmessungen. Gliedmaßen mutieren zu Messinstrumenten, in akribischer Genauigkeit vermessen sie ihre Körper beim umgarnenden, sinnlichen Tanz der beiden Körper. Präzision in jeder Bewegung im Spiel zwischen Nähe und Distanz, zwischen Neugier, Balz und Vereinigung. In ständigen Bewegungswiederholungen, die sich als retardierendes Element durch die gesamte Performance ziehen, werden die Bewegungen schneller, stärker, das immer lauter werdende Atmen der Tänzer lässt den Kraftaufwand erahnen und unterstreicht ihre menschlichen Züge.
Ein wunderbares Spiel der Sinne beginnt und dreht sich ab nun vor allem um eins: «die Zahl Phi». Über die Leinwand werden die Zuschauer zu insgesamt vier Tests eingeladen. Die geheimnisvolle Zahl Phi (Wert: 1,6180339) wird dabei als echte Wunderzahl erschlossen: «Die Geometrie allen organischen Lebens basiert auf der Zahl Phi.» Damit ist klar, auch alle menschlichen Bewegungen, alles Organische, unser Körper, die Musik und das ganze Universum, alles ist berechenbar und Phi letztlich die universale Messzahl des Lebens.
In dieses zauberhafte mathematisch-logische Spiel mit dem reinen Wert der körperlichen Bewegung geknüpft: das Blind Date, der Titel des Tanz-Experiments des ms-tanzwerks von Mario Heinemann, das sich mit der Frage auseinander setzt, was und wie viel wir von uns persönlich noch zulassen, wenn wir uns dem «Fremden» preisgeben mit kritischem Blick auf die Anonymität moderner Kommunikationstechnik.
«Suche liebevoll veranlagten Mann, nicht ortsgebunden, nicht älter als 38 Jahre, unkonventionell, gleichbleibend dynamisch, aufgeschlossen, schwingend belastbar», skandieren die beiden Tänzerinnen Isabel Hein und Bärbel Strehlau den Kontaktanzeigentext ihres Traummannes immer wieder neu mit starrem Blick in den Raum, bevor sie sich selbst dem Tanz der Gliedmaßen und Geometrien hingeben.
Ein nackter Körper wird vermessen, zum Ende hin werden, wie auch die Bewegungen des Pärchens, alle Formen runder, verlieren aber nie ihre Exaktheit.
Letztlich wird uns quasi die Lösung präsentiert: «You can find me if you want me in the garden», ertönt die Musik. Das Zusammenspiel der Medien, ob Video-, Licht- oder Musikeffekte: Alles verbindet sich mit den faszinierenden Bewegungen der Körper zu einem perfekten Ganzen und erinnert uns daran, dass wir nur zusammenfinden, wenn wir uns tatsächlich sehen und spüren - eben nur in natura.

Anja Wassong
Quelle: Aachener Zeitung
Photos: Günter Krämmer

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